Die PPP-RL legt Maßnahmen zur Sicherung der Qualität in psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen mit Hilfe von verbindlichen Mindestpersonalvorgaben fest. Seit ihrer Einführung stößt die Richtlinie auf massive Kritik psychiatrischer und psychosomatischer Fach- und Klinikverbände, darunter auch den privaten Krankenhäusern. Was sind die Kritikpunkte?
Die Richtlinie basiert auf 30 Jahre alten Vorgaben und ist nicht an den individuellen Bedarf der Patient:innen angepasst, sondern richtet sich nach starren Stationsgrenzen. Das widerspricht einer modernen psychiatrischen und psychosomatischen Versorgungsrealität und verhindert moderne Versorgungsangebote. Kritikpunkt ist außerdem, dass die Vorgaben zu einseitig auf examinierte Pflege fokussieren, was der Situation vor Ort nicht gerecht wird. Patient:innen mit z. B. Angst- oder Essstörungen benötigen vor allem Gesprächstherapie sowie Betreuung durch Psychotherapeut:innen und weniger pflegerische Unterstützung. Der bürokratische Aufwand, der den Kliniken für die Erfassung und Meldung der Vorgaben entsteht, ist enorm und erfordert zeitliche und personelle Ressourcen, die bei der Patient:innenversorgung fehlen.
Auch der G-BA sieht Weiterentwicklungsbedarf und hatte die Sanktionen der Richtlinie mehrfach verschoben. Zuletzt hatte der G-BA im September 2022 Anpassungen an der PPP-RL vorgenommen. Unter anderem wurde die stations- und monatsbezogene Nachweispflicht für drei Jahre ausgesetzt. Eine Stichprobe von 5 % der Kliniken muss diese Nachweise weiter erbringen. Die bürokratischen Erleichterungen sind aus Sicht des BDPK ein überfälliges Signal, aber die grundlegenden Webfehler wie der zu starke Fokus auf examinierte Pflege sind weiterhin nicht gelöst. Für eine echte Weiterentwicklung sollte der starre und nicht mehr zeitgemäße Stationsbezug vollständig entfallen und der Qualifikationsmix durch flexiblere Anrechnungsmöglichkeiten der Berufsgruppen untereinander gestärkt werden. Solange müssen die Sanktionen, die den Kliniken ab 2024 bei Nichteinhaltung der Vorgaben drohen, ausgesetzt bleiben. Welche massiven Folgen die Sanktionen für die Versorgung psychisch Erkrankter hätten, zeigt ein aktuelles Positionspapier verschiedener psychiatrischer Fachverbände. Die Autoren prognostizieren, dass etwa 80 % der Kliniken von den Sanktionen betroffen sein werden, was zu einer dramatischen Verknappung der stationären Versorgungskapazitäten für Menschen mit psychischen Erkrankungen führen wird. Auch Praktiker des BDPK befürchten negative Auswirkungen auf die psychiatrische und psychosomatische Versorgung, wie die nachfolgenden Statements zeigen:
Daniel Roschanski, Klinikdirektor Schön Klinik Bad Arolsen:
Für die Psychosomatik passen die aktuellen Mindestvorgaben der PPP-Richtlinie nicht, weil sie aus bisherigen Orientierungswerten der Psychiatrie abgeleitet sind. Die Psychosomatik arbeitet mit nachweislich hoher Ergebnisqualität mit viel Psychotherapie, aber relativ wenig Pflege. Aktuelle Vorgaben sehen jedoch zwei Drittel weniger Psychotherapie und das Doppelte an Pflegeminuten vor! Entsprechend hoch wäre der vorgesehene Wegfall des Vergütungsanspruches (übrigens mehr als viermal so hoch wie eine entsprechende Verfehlung in der Inneren Medizin gemäß PpUGV).
Werden die Sanktionen nicht ausgesetzt, werden kurzfristig Kapazitäten geschlossen. Mittelfristig werden Pflegekräfte aus der Somatik abgeworben werden. Ob dann noch die notwendige Menge an Psychotherapie finanziert werden wird, ist zweifelhaft.
Wichtig ist daher jetzt die Weiterentwicklung der Richtlinie auf Basis empirischer Echt-Daten aus der Psychosomatik. Bis dahin müssen Sanktionen ausgesetzt bleiben. Außerdem müssen bislang bei der Anrechnung ausgeschlossene Berufsgruppen wie MFA vollumfänglich berücksichtigt werden dürfen.
Dr. Christoph Smolenski, Ärztlicher Direktor, Chefarzt Dr. von Ehrenwall'sche Klinik
Die PPP-RL, als sogenannte Qualitätsrichtlinie, ist auch für unsere Klinik ein völlig unausgereiftes Instrument, um eine moderne sowie auf die Individualität der Patienten ausgerichtete psychiatrisch- psychotherapeutische Behandlung und Therapie durchzuführen.
Mit der PPP-RL befinden wir uns eher auf den Weg in eine Steinzeit-Psychiatrie. Allein der organisatorische Aufwand, wie das Erfassen der Personal- und Belegungsdaten sowie das abschließende Überführen dieser Daten in die Meldeformulare, erfordert sehr viel Zeit und einen Mehrbedarf an Personal, welcher von den Kostenträgern nicht refinanziert wird.
Strukturelle Besonderheiten wie Abteilungsgrößen, der Klinikaufbau selbst sowie der Fachkräftemangel, finden in der PPP-RL keine Beachtung. Dies führt zu einer deutlichen Verschlechterung der therapeutischen Möglichkeiten, zur Schließung von Stationen und im schlimmsten Fall zur existenziellen Not für die Klinik, unabhängig von den anstehenden Sanktionen.
Dem Positionspapier der 21 Verbände zu den Sanktionen der PPP-RL stimmen wir vollumfänglich zu. Wir selbst sind in verschiedenen Gremien aktiv, die sich mit dem Thema PPP-RL und deren Auswirkung befassen. Als flutbetroffenes Krankenhaus sind wir aktuell in der besonderen Situation, dass uns der GBA erst einmal bis zum Ende diesen Quartals von der Meldepflicht befreit hat. Da wir uns auch fast 2 Jahre nach der Flut immer noch im Wiederaufbau befinden, sind wir sehr froh über diese entgegenkommende Entscheidung. Uns ist dennoch bewusst, dass der „Flutschutz“ nicht unendlich andauern wird.
Dennis Schmidt-Schneede, stv. Leitung Konzernbereich Krankenhausfinanzierung Asklepios Kliniken
„Der neue Höchststand bei den psychischen Erkrankungen ist besorgniserregend.“, so DAK-Vorstandschef Andreas Storm auf aerzteblatt.de. Er bezieht sich auf Zahlen, die einen Anstieg der Diagnosen (z.B. Depressionen, Belastungsstörungen) im 10-Jahres-Vergleich von 48% belegen. Am häufigsten sind Menschen aus dem Gesundheitswesen krankgeschrieben.
In der Somatik haben BMG und GBA vor Jahren angefangen, medizinische Qualität über Mindestmengen sicherstellen zu wollen, z.B. 50 Knie-TEP per anno. Alle Mengenvorgaben erheben den Anspruch evidenzbasiert zustande gekommen zu sein.
Der jüngste Versuch Versorgungsqualität zu erzwingen, ist mit der Einführung der PPUGV unternommen worden. Hier hat KPMG bundesweit für verschiedene Disziplinen den Personaleinsatz ermittelt. Als Qualität hat man schließlich das untere Quartil der Erhebung als Qualitätsmaßstab postuliert.
Ganz anders in der Psychiatrie. Hier müssen ausnahmslos ALLE Kliniken zusätzliche Fachkräfte gewinnen; und dass selbst dann, wenn es keinen Anstieg der Krankheitsfälle geben würde.
Die Minutenwerte der PsychPV, die bisher zu einer Obergrenze an Personal geführt haben, wurden bei den Psychologen um 5 % und in der Pflege ca. um 7 % (Wegfall Malus aus Sockel) angehoben. Zudem wird der bisherige Maßstab des Jahresdurchschnitts auf einen Quartalswert verändert. Jede Klinik unterschreitet folglich alleine deshalb 2-mal im Jahr die Untergrenze.
Gleichzeitig erklärt der GBA, dass mit diesen Minutenvorgaben noch nicht mal die 50 Knie p.a. an Qualität erreicht werden und erklärt seine Untergrenze ohne Vorlage irgendeiner Evidenz daher für sanktionsbewährt. Der wissenschaftliche Auftrag an die TU Dresden (2017) evidenzbasierte Minuten zu liefern, war krachend gescheitert.
In der Psychiatrie prallt also eine steigende Nachfrage auf einen Fachkräftemangel, der nicht mehr beherrschbar ist. Die Kliniken würden das notwendige Personal ja einstellen, sofern es das am Markt geben würde. Und trotz dieser Bemühungen werden sie sanktioniert.
Der Sanktionsfaktor von 1,7 sorgt dafür, dass für jeden Euro der in Personal zu investieren wäre, ein Bußgeld von ca. 5 € verhängt wird.
Die Kliniken können nur überleben, wenn sie die Versorgung einschränken und einen Teil ihrer Versorgungsaufträge zurückgeben. Was bleibt ist keine steigende Qualität, sondern ein Anstieg von nicht versorgten Patienten.